Macht den Kopf frei: Führungskräftetraining auf einer Berghütte im Alpenraum

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„Kollegiale Fallberatung“ für Fach- und Führungskräfte – in schwierigen Zeiten Probleme gemeinsam zielführend lösen

Avatar of Sabine Strobel Sabine Strobel - 20. September 2024 - Beratung, Training, Coaching

Führungskräften fehlt häufig ein geschützter Raum, um schwierige beruflichen Themen zu erkennen und offen zu besprechen. Die Kollegiale Beratung ist für Führungskräfte im kaufmännischen und im gewerblichen Raum gleichermaßen gut einzusetzen. Ein nützliches Tool, das von Anfang an Wirkung zeigt.

Was steckt hinter dem Tool der Kollegialen (Fall-)Beratung?

Manchmal dreht man sich im Kreis. Und kommt zu keinem Ergebnis oder zu immer dem gleichen Ergebnis. Weil wir mit schwierigen Themen ähnlich umgehen. Weil unsere Haltung zu Menschen und Situationen vor allem von unseren eigenen Erfahrungen geprägt ist. Deshalb fällt es Außenstehenden oft leichter Lösungen zu finden, die wir vorher nicht gesehen haben.

Die kollegiale (Fall-)Beratung ist eine Form der kollegialen Beratung und geht über den alltäglichen kollegialen Austausch hinaus. Beruflich Gleichgestellte suchen gemeinsam nach Lösungen für ein konkretes Problem, für einen „Fall“. Der „Fallgeber“ schildert den „Beratern“ die Situation und lässt sich dann von diesen beraten. Die Besonderheit: der Fallgeber sitzt dabei hinter einer Sichtwand gesetzt (oder schaltet online sein Video aus), kann sich zurücklehnen, zuhören und beobachten, wie andere das Thema bearbeiten. Die Menschen im Beraterteam entwickeln dann ohne den Fallgeber erste Hypothesen und schildern eigenen Erfahrungen. Anschließend werden von den Beratern gemeinsam Lösungswege entwickelt und reflektiert. Der Fallgeber gibt am Ende des Prozesses Feedback, welche Lösung und welche Vorgehensweise er favorisiert und umsetzt. 

Muss eine Kollegiale (Fall-)Beratung immer von einem Coach oder Trainer begleitet werden?

Der Kern von jedem Coaching und Training ist Hilfe zur Selbsthilfe. Ziel der geführten Kollegialen (Fall-)Beratung ist es, in Gruppen von vier bis maximal zwölf Personen arbeitsbezogene Themen strukturiert zu besprechen, Hypothesen zu entwickeln und im besten Fall gemeinsam Probleme lösen. Häufig führe ich die Kollegiale (Fall-)Beratung im Rahmen einer Führungskräfteentwicklung ein, um die Gruppe nach Abschluss der Maßnahme zu befähigen, eigenständig weiterzumachen und miteinander im regelmäßigen, lösungsorientierten Austausch zu bleiben.

In Unternehmen wie Bahlsen, der Medizinische Hochschule und zahlreiche Universitäten setze ich dieses hilfreiche Tool schon seit Jahren ein, um (meist) Führungskräfte miteinander zu verbinden und den offenen Austausch untereinander zu stärken. Ich veranstalte 2-tägige Kurse, um Vorgesetzte zu befähigen, Kollegiale (Fall-)Beratungen eigenständig in ihrer Organisation durchzuführen – ohne externe Unterstützung. Oder ich leite regelmäßig (meist einmal im Quartal) als Moderatorin Kollegiale Beratungen vor Ort oder über remote. 

In diesem Blogbeitrag beantworte ich aus meiner täglichen Arbeit und meinen Erfahrungen heraus folgende Fragen:

  • Was ist eine Kollegiale (Fall-)Beratung (KGB)?
  • Was sind die Merkmale, Rollen, Aufgaben und der Ablauf einer KGB?
  • Wie unterscheidet sich die Kollegiale Beratung von einem kollegialen Austausch?
  • Wieviele Teilnehmende werden mindestens/maximal benötigt?
  • Welche Unterschiede gibt es bei einer Kollegialen (Fall-)Beratung von online zu Präsenz?
  • Was muss man als Moderator:in beachten?

„Für was brauchen wir dieses Tool überhaupt? Früher haben Führungskräfte doch auch alleine ihre Probleme gelöst“, höre ich manchmal im Gespräch.

Der „War of Talents“ ist in vollem Gange. Es geht dabei längst nicht mehr um den Kampf der Besten. Wir sprechen vom Fachkräftemangel, dabei stecken wir schon mitten in einem Personalmangel. So wird die Mitarbeiterbindung immer wichtiger. Aber die Mitarbeitenden stellen zunehmend hohe Ansprüche an ihre Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen und natürlich auch an ihre Vergütung. Die Loyalität sinkt. Täglich müssen Werte neu ausgehandelt und Emotionen bearbeitet werden, um in diesem Spannungsfeld zu bestehen. Eine Spagat für Führungskräfte und Vorgesetzte.

Angesichts dieser Dynamik ist die Fähigkeit zur verbindlichen, beziehungs- und bedürfnisorientierter Führung entscheidend für den Erfolg von Organisationen und Unternehmen. Es müssen Grenzen erkannt, gesetzt und gewahrt werden. Allzu oft entstehen dabei Konflikte, die gelöst werden müssen. Vorgesetzte stehen in ihrer Sandwichposition häufig alleine da. Dort setzt die Kollegiale (Fall-)Beratung an: Auch als Führungskraft ist man nicht allein. Kolleginnen und Kollegen auf gleicher Ebene haben ähnliche Probleme, aber lösen sie vielleicht anders, da es andere Persönlichkeiten sind. Genau das ist die Stärke der Kollegialen Beratung: Je unterschiedlicher die Meinungen, die Perspektiven und die Denkmodelle der beteiligten Berater sind, desto größer ist die Vielfalt an Gedanken, Ideen und Lösungen am Ende der Beratungsphase. Die Berater lernen in der Kollegialen Beratung zum Beispiel gezielt Fragen zu stellen, aber auch bei ihren Gedanken und Aussagen gleich auf den Punkt zu kommen (induktive Kommunikation). 

Was unterscheidet die geführte Kollegiale (Fall-)Beratung von einem kollegialen Austausch?

Ganz einfach: der kollegiale Austausch passiert ungeplant, überall, meist ohne Ziel und Struktur; ein lockeres Gespräch unter Kolleg:innen. Manchmal jammert man oder lästert gemeinsam über die Chefetage. Das dient zwar der eigenen emotionalen Entlastung, bringt aber niemand einen Schritt weiter. Die Opferperspektive wird in ihrer Aussichtlosigkeit häufig noch bestärkt: „Das bringt da eh nichts, das habe ich auch schon probiert.“ Oft folgen noch gut gemeinte Vorschläge von Kollegen, die die andere Person ohne Nachzudenken abwehrt mit den Worten: „Das geht so nicht bei uns …“, „Ja, aber …“ oder „Das habe ich doch schon längst probiert …“ – das Ergebnis? Ärger und Frust bei allen Beteiligten, die Lösung rückt in weite Ferne.

Eine kollegiale Fallberatung arbeitet in verschiedenen Phasen, die alle zeitlich begrenzt sind. D. h. der/die Fallgeber:in lernt, das Problem kurz und konkret zu beschreiben, die Beteiligten zu analysieren und andere Meinungen anzuhören, ohne diese unterbrechen zu können. Nach den ersten Gedanken, Ideen und möglichen Ratschlägen aus der Beraterrunde sagt der/die Fallgeber:in am Ende, was er/sie praktisch umsetzen möchte. Besonders effektiv ist eine Kollegiale Beratung, die regelmäßig stattfindet. So schaut die Gruppe gemeinsam zurück auf den letzten Fall und hört, ob die Lösungsideen gefruchtet haben oder auch nicht. 

Was sind die Merkmale einer geführten Kollegialen Fallberatung (KGB)?

Es gibt einige Merkmale, die eine Kollegiale Fallberatung ausmachen. Die Arbeit in der Gruppe steht dabei im Vordergrund. Es sollten neben der/dem Fallgeber:in mindestens drei Berater:innen sein. Wenn Teilnehmende fehlen, agiere ich als Moderatorin in Ausnahmefällen auch zusätzlich als Beraterin. Dabei kennzeichne ich klar meine Rolle, aus der ich gerade spreche. Als Moderatorin kündige ich zudem die einzelnen Phasen an und achte auch die Einhaltung der Zeiten. Ich lasse für jede Phase eine Stoppuhr mitlaufen.

Bei den Inhalten gibt es kein richtig und kein falsch – jeder Gedanke, Idee, jede Erfahrung und Hypothese zählt, sofern sie wertschätzend im +/+ vorgetragen wird (vergleiche meinen Blogbeitrag „Grundpositionen“ der Transaktionsanalyse). Die Moderation achtet darauf, dass möglichst alle Teilnehmenden zu Wort kommen und spricht auch stille Mitglieder der Gruppe aktiv an, um ihre Gedanken zu dem Thema zu hören. Alle Teilnehmenden sollten in den Prozess miteinbezogen werden. Es sei denn, der/die Fallgeber:in hat ein Thema genannt, bei dem ein/e Berater:in befangen ist. Sobald das Thema klar ist, frage ich noch vor der eigentlichen Beratung die/den Fallgeber:in, ob eine Person bei der KGB nicht teilnehmen kann, weil sie zu viel weiß oder vielleicht auch, weil sie mit den Personen freundschaftlich verbunden ist. Bejaht die/der Fallgeber:in, eignet sich die benannte Person für die Rolle als Beobachter:in, wenn das für alle Beteiligten in Ordnung ist.


Zusammenfassend die wichtigsten Merkmale einer Kollegialen Fallberatung:

  • Arbeit in der Gruppe
  • Selbststeuerung (ohne Externe)
  • Fester Ablauf
  • Transparenz der Methodik
  • Arbeits- und Rollenverteilung der Beteiligten
  • Aktive Beteiligung der Teilnehmer*innen
  • Fokussierung auf berufliche und arbeitsbezogene Themen

Wie lange dauert im Durchschnitt eine Kollegiale Beratung?

Eine geführte kollegiale Fallberatung dauert normalerweise 60 bis 90 Minuten. Im Rahmen von Führungskräfteentwicklungen oder Kursen ist es möglich, dass eine KGB auch innerhalb von 30 bis 45 Minuten durchgeführt wird (siehe Abbildung). Das hängt vom Reifegrad der Gruppe ab und auch vom Zeitmanagement der Moderation. Grundsätzlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass Beratungen, die online durchgeführt werden, weniger Zeit in Anspruch nehmen. 

Welche Rollen benötigt man für eine Kollegiale Beratung und welche Aufgaben haben sie in dem Prozess?

Die Hauptrolle hat der/die Fallerzähler:in bzw. Fallgeber:in. Diese Person hält eine Schlüsselrolle inne und ist unser „Kunde“. Sie bringt den Auftrag mit, den die Beratenden bestmöglich klären und bearbeiten wollen. Sie entscheidet bei der Methodenwahl und hat das Vetorecht bei der Auswahl der Beratenden. Der/die Fallerzähler:in benennt die „Schlüsselfrage“, also den genauen Auftrag, woran das Beraterteam (ohne aktive Beteiligung des Fallerzählers!) arbeiten soll.

Einige Beispiele für „Schlüsselfragen“ einer Kollegialen Fallberatung:

  • Wie kann ich mein Team befähigen, eigenständiger zu arbeiten?
  • Wie schaffe ich es, gelassener mit Kritik umzugehen?
  • Wie bringe ich meine Mitarbeitenden dazu, auch unliebsame Aufgaben anzunehmen?
  • Wie kann ich Meetings gestalten, dass alle etwas sagen?
  • Wie schaffe ich es, abends pünktlich aufzuhören und mir mehr Zeit für meine Familie zu nehmen? 
  • Wie kann ich xy kritisieren, ohne ihn/sie zu demotivieren?
  • Wie stelle ich es an, dass sich meine beiden Teams besser austauschen?
  • Wie kann ich die Arbeit gerechter verteilen?
  • Was muss ich tun, um mich nicht immer über meinen Chef zu ärgern?
  • Wie bringe ich die Kollegin dazu, ihre Verantwortung zu übernehmen?
  • Wie schaffe ich es, wieder Spaß an meiner Arbeit zu finden?
  • ….

Eine weitere Hauptrolle hat der/die Moderator:in. Sie steuert den Prozess, sorgt für aktive Beteiligung und Klarheit der einzelnen Phasen. Die Moderation sorgt dafür, dass das Beraterteam stets die Schlüsselfrage vor Augen hat und nicht abschweift. Die Moderation greift auch ein, wenn zum Beispiel in der ersten Fragerunde bereits Lösungsvorschläge genannt werden oder wenn der Redeanteil Einzelner zu hoch wird. 

Daneben benötigen wir für den Kernprozess, die Beratung, mindestens drei bis maximal acht Berater:innen, die aufgrund ihrer Persönlichkeit und Position möglichst unterschiedliche Blickwinkel mitbringen dürfen. Ich habe bei einigen Kollegialen Beratungen auch mit unterschiedlichen Hierarchieebenen und unterschiedlichen Bereichen gearbeitet, die zwar alle in einer Organisation waren, aber sich untereinander nicht kannten. Das war sehr wertvoll und erweiterte zudem den Blickwinkel und die Perspektiven aller Teilnehmenden.

Der/die Prozessbeobachter:in nimmt selbst nicht an dem Prozess teil und gibt am Ende Feedback zum Prozess, dem Umgang der Berater:innen untereinander, der Entwicklung des Themas – aber nicht zu den Inhalten selbst. Bei kleinen Gruppen kann die Moderation die Beobachtungsrolle mitübernehmen. 

Eine weitere hilfreich Rolle (besonders bei großen Gruppen, wenn nicht alle als Berater:innen teilnehmen können) ist das Sekretariat. Diese Person schreibt Schlüsselwörter, Schlüsselsätze und auch die Schlüsselfrage wortwörtlich mit und kann bei Bedarf im Prozess angefragt werden, wenn es um unterschiedliche Interpretationen von Aussagen geht. Manchmal wiederholt sie aber auch nur das Gesagte. Durch die Wiederholung wird zum Teil die Wucht des Gesagten deutlicher, wie zum Beispiel die Aussage: „Ich wäre in dem Teammeeting fast gestorben – danach wollte ich einfach nur noch raus.“ 

 Die sechs Phasen der Kollegialen Fallberatung

Phase 1: Casting (Dauer: 5 Minuten; ohne Anfangsrunde)

Im Casting wird zuerst der/die Moderator:in eingesetzt. Dann wird in einer ersten Runde abgefragt, wer ein Thema hat. Die Beratungswünsche werden kurz skizziert. Gemeinsam wird ein Thema ausgewählt – meist nach Dringlichkeit. Nun werden ein oder mehrere Prozessbobachter:innen bestimmt. Falls sehr viele Teilnehmende vorhanden sind, wird noch ein Sekretariat bestimmt. 

Phase 2: Spontanbericht (Dauer: 7-10 Minuten)

Der/die Fallerzähler:in berichtet von ihrer eigenen Situation. Der/die Fallerzähler:in wird dabei möglichst nicht unterbrochen. Folgende Themen sollte er/sie dabei ansprechen: Was möchte ich hier für mich lösen? Was habe ich schon versucht? Wer sind die Protogonisten? Wo habe ich mir Hilfe geholt? Wie geht es mir damit? – etc. Erst nach dem Spontanbericht darf das Beraterteam Verständnisfragen stellen, um die Situation zu erfassen und später unterstützen zu können. Der/die Fallerzähler:in antwortet möglichst kurz und kompakt. Auch das ist ein Lernprozess für alle Beteiligten.

Phase 3: Schlüsselfrage (Dauer: 5 Minuten)

Der/die Fallerzähler:in benennt am Ende des Spontanberichts seine/ihre konkrete Schlüsselfrage. Also die Leitfrage, an der das Beraterteam in Phase 5 gemeinsam arbeiten wird. Die Berater:innen signalisieren, ob sie die Schlüsselfrage verstanden haben und nachvollziehen können. Alle schreiben die Schlüsselfrage mit, wenn kein Sekretariat dabei ist. 

Phase 4: Methodenwahl (nur für Fortgeschrittene) (Dauer: 5 Minuten)

Ich arbeite mit folgenden Basismethoden: „Brainstorming“, „Kurze Kommentare“, „Ein erster kleiner Schritt“ und „Gute Ratschläge“. Um unerfahrene Gruppen den Einstieg zu erleichtern, kombiniere ich „Gute Ratschläge“ und „Brainstorming“. Gerade am Anfang ist es wichtig, die Gruppe mit einfachen Methoden in die praktische Arbeit einzuführen. Zu viel Theorie vorab und zu viel Methodenauswahl verunsichern Gruppen, die noch keine oder wenig Erfahrung mit der Kollegialen Beratung haben. 

Fortgeschrittene Gruppen dagegen können – je nach Thema – eine passende Methode wählen*. Die Moderation sammelt Methoden-Vorschläge aus der gesamten Gruppe und wägt Vor- und Nachteile ab. Die Gruppe einigt sich dann auf eine Methode. Wenn es keine Einigung gibt, entscheidet am Ende der/die Fallerzähler:in (= Kunde/Kundin) über die einzusetzende Methode. 

Phase 5: Beratung (Dauer: 10-15 Minuten)

Jetzt startet die eigentliche Beratung, das Herzstück der Kollegialen Fallberatung. Die Moderation skizziert die gewählte Methode und wiederholt die Schlüsselfrage. Der/die Fallerzähler:in geht hinter eine Pinnwand und ist nicht mehr zu sehen. Die Moderation muss sicherstellen, dass der/die Fallerzähler:in das Beraterteam gut hören kann. Stift und Block sollten hinter der Pinnwand zur Verfügung stehen. Bei einer Remote-Beratung, die online durchgeführt wird, stellt der/die Fallerzähler:in einfach das Mikro und die Kamera aus. So kann die Gruppe ohne Einflussnahme des Kunden die Beratung durchführen. Der Kunde kann nicht mehr eingreifen. Die Berater:innen haben an dieser Stelle keine Möglichkeit mehr, ihm/ihr Fragen zu stellen. Die Moderation sorgt für eine Beteiligung von möglichst allen Berater:innen. 

In einer ersten Runde teilen die Berater zuerst ihre eigenen Erfahrungen, Hypothesen, Gefühle und Gedanken zu dem Fall. Lösungsideen und gute Ratschläge sollten erst in einer zweiten Runde der Beratung angesprochen werden. Besonders Führungskräfte schlagen häufig zu Beginn Lösungen vor. Doch gerade die erste Runde ist oft hilfreich für die Reflexion des/der Fallerzähler:in. Die Berater:innen hören sich gegenseitig zu, tauschen ihre Meinungen aus. Dabei ist es nicht wichtig, auf einen Konsens zu kommen. Der/die Fallgeber:in profitiert häufig auch von einem Diskurs unterschiedlicher Perspektiven und Ansichten. Die Moderation kann in dieser Phase entscheiden, ob noch ein paar Minuten zugegeben werden. Bei größeren Gruppen ist dies oft hilfreich, damit jede/r Berater:in zu Wort kommt.

Phase 6: Abschluss (Dauer: 5 Minuten)

Die Beratung ist abgeschlossen, der/die Fallgeber:in kommt wieder zurück in die große Runde. Der/die Fallgeber:in berichtet von seinen/ihren Erfahrungen während der Kollegialen Beratung. Der Fokus dieses Berichtes liegt darauf, welche Ideen auf den ersten Blick hilfreich scheinen. Die Moderation sollte hier achtsam sein, dass nicht gesagt wird, was nicht geht oder was keinesfalls infrage kommt, sondern nur das, was hilfreich ist. Sonst kann das Beraterteam frustriert werden. Die Kollegiale Beratung endet.

Der/die Moderator:in erhält Feedback. Der Prozessbeobachter:in gibt eine Rückmeldung zum Ablauf und Prozess der Kollegialen Beratung, nicht zum Inhalt. Trifft sich die Gruppe ein weiteres Mal nach einigen Wochen, fragt die Moderation den/die Fallgeber:in, was aus dem Fall geworden ist und welche Maßnahmen umgesetzt werden konnten. 

Ähnlich, aber nicht zu verwechseln mit den Balintgruppen im medizinischen Bereich

Im medizinischen Bereich – und weitestgehend verwandt mit der Kollegialen Fallberatung – sind Balintgruppen nach Michael Balint (1896-1870) im Einsatz. In diesen strukturell geführten Fallkonferenzen können sich Ärztinnen und Ärzte im geschützten, vertrauensvollen Raum über psychische Probleme austauschen. Balintgruppen sind ein fester Bestandteil der ärztlichen Weiterbildung. Auch zahlreiche Zusatzqualifikationen wie die psychosomatische Grundversorgung, die Suchtmedizin, die Psychotherapie etc. setzen eine Teilnahme an Balintgruppen voraus. Darüber hinaus etabliert sich die Kollegiale Fallberatung als unterstützendes Tool auch im medizinischen Bereich. 

*Auswahl von Methoden der Kollegialen Fallberatung:

Gute Ratschläge

Ratschläge, die ungebeten oder versteckt gegeben werden, lösen häufig Widerstand oder Unwillen aus. Bei der Methode „Gute Ratschläge“ hingegen sind Empfehlungen und Tipps seitens der Beratenden ausdrücklich erwünscht. Die Berater:innen müssen jeden Ratschlage formelhaft ankündigen, etwa mit „Ich gebe den Ratschlag, dass …“, oder auch „Mein Tipp ist …“. Durch diese Einleitungen wird betont, dass es sich nicht um versteckte Empfehlungen handelt. Der/die Fallgeber:in bleibt grundsätzlich autonom darin, die Ratschläge anzunehmen oder auch abzulehnen. Indem das Beraterteam ihre Empfehlungen wertschätzend formuliert, ermöglicht es dem/der Fallgeber:in, die Inhalte auch anzunehmen.

 

Hypothesen entwickeln

Hypothesen sind Annahmen zu Bedeutungen, Absichten, Zusammenhängen, Entwicklungen oder Einflüssen, die wir über Menschen, Interaktionen und Konstellationen haben, und die uns gesichert und plausibel erscheinen. Wir erleben, bewerten und handeln in Praxissituationen meist mit Bezug auf unsere eigenen Hypothesen.

Die Beraterinnen und Berater entwickeln zur Fallsituation des Fallgebers alternative Annahmen, etwa zu den Absichten der Beteiligten, zu möglichen Bedeutungen von Ereignissen oder zu Erklärungen für Verhalten. Sie beginnen ihre Vermutungen mit: „Eine Hypothese könnte sein …“. Neue Hypothesen unterstützen den/die Fallgeber:in dabei, die eigenen Erlebnisse und Bewertungen aus anderen Blickwinkeln zu betrachten und somit neue Ansatzpunkte für Veränderungen und Lösungsansätze zu entdecken.

 

Resonanzrunde

Fallschilderungen lösen bei Zuhörenden innere Reaktionen und Empfindungen aus, sei es durch die berichteten Inhalte oder durch die Art, wie sie erzählt werden. In einer Resonanzrunde spiegelt das Beraterteam wider, was die Fallerzählung bei ihnen selbst hervorgerufen hat – sie reden über ihre Gefühle. Gefragt sind bei dieser Methode emotionale Resonanzen und ihre auslösenden Aspekte, keine allgemeinen Gedanken, Tipps oder Hypothesen.

Die geäußerten Empfindungen der Beratenden können dem/der Fallgeber:in zu größerer Klarheit in schwierigen Praxissituationen verhelfen, die mit einem diffusen Gefühlsgemenge einhergehen. Jede einzelne Resonanz gibt dem/der Fallgeber:in einen Hinweis darauf, welche emotionale Facette mit dem Praxisfall verbunden sein kann. Oftmals erhält der/die Fallgeber:in dadurch Anteilnahme und Verständnis, was ihm/ihr den Rücken stärkt und eine aktivere Haltung bewirken kann.

 

Kopfstand-Brainstorming

Die Beratenden entwickeln paradoxe Vorschläge für den weiteren Umgang des/der Fallgeber:in mit dem Praxisfall. Damit bieten sie ihm/ihr ungewöhnliche Perspektiven für eine vielleicht festgefahren erlebte Situation. Sie bieten die Chance, die Denkrichtung sowie Bewertungen zu ändern und sie öffnen den Blick für neue Einsichten. Eingangs wird das in der Schlüsselfrage enthaltene Anliegen des/der Fallgeber:in in die Gegenrichtung formuliert, also auf den Kopf gestellt. Dann trägt das Beraterteam genau das Gegenteil von dem zusammen, mit welchen Gedanken, Bewertungen und Handlungen der/die Fallgeber:in die erlebte Praxissituation verschlimmern könnte.
 

Interesse, das Tool auszuprobieren und in Ihrem Unternehmen einzuführen?

Ich biete in Hannover und der Region Garmisch-Partenkirchen sowie Innsbruck Kurse und Trainings zur Einführung in die Kollegiale Beratung an. Ein 4-stündiger Online-Kompaktkurs ist ein guter Ausgangspunkt für erste Erfahrungen mit dem Tool. Ein 2-tägiger Workshop beinhaltet theoretische Grundlagen mit umfangreichen Handout, viele praktische Live-Demos und ausführliche Reflexionen der einzelnen Beratungen mit dem Ziel, dass die Teilnehmenden am Ende selbstständig als Moderator:in in ihrem Unternehmen Kollegiale Beratungen durchführen können. Die Kurse und Workshops richten sich an Fach- und Führungskräfte mit Verantwortung, die eine geführte Kollegiale (Fall-)Beratung kennenlernen und in ihrem Unternehmen einsetzen wollen.

Weitere Infos: Sabine Strobel, psychologischer Coach, Hannover und Garmisch-Partenkirchen.

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